Rede vor dem Landtag am 27.10.2021, es gilt das gesprochene Wort.
Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen,
stellen Sie sich vor, Sie kommen in diesen Saal und müssen feststellen, dass nur für die Hälfte Stühle bereitgestellt wurden. Und dann erklärt Ihnen jemand: „Regen Sie sich nicht auf: Wir haben Sie ja nicht vergessen – wir haben nur keinen Platz für Sie vorbereitet, weil wir den Saal schon immer so hergerichtet haben. Das zu ändern, würde nur unnötige Unruhe in unsere Abläufe bringen. Und wenn sie ein bisschen Eigeninitiative zeigen, finden Sie sicher auch noch ein Plätzchen. Lassen Sie sich einfach etwas einfallen.“
„Gleichstellung bedeutet nicht, an alle zu denken und trotzdem nur wenigen einen Platz anzubieten: Gleichstellung bedeutet, gemeinsam Stühle zu rücken – so lange, bis alle einen Platz am Tisch haben!“
Gleichstellung bedeutet nicht, an alle zu denken und trotzdem nur wenigen einen Platz anzubieten: Gleichstellung bedeutet, gemeinsam Stühle zu rücken – so lange, bis alle einen Platz am Tisch haben und auf Augenhöhe mitdiskutieren können. Und ja – das gilt auch für unsere Sprache.
Dem Antrag der AfD, über den wir heute sprechen, liegt eine altbekannte Ansicht zugrunde: Das generische Maskulinum, also die alleinige Verwendung männlicher Bezeichnungen, genüge, weil alle Geschlechter „mitgemeint“ seien.
Nur gibt es da ein Problem: Das stimmt so nicht.
„Wo ausschließlich Männer genannt werden, wird auch ausschließlich an Männer gedacht.“
Wissenschaftliche Studien haben längst gezeigt: Wo ausschließlich Männer genannt werden, wird auch ausschließlich an Männer gedacht. Als eine Form geschlechtergerechter Sprache eignet sich das generische Maskulinum daher nicht – ganz davon abgesehen, dass es Stereotypen verfestigt, die wir als Gesellschaft doch eigentlich überwinden wollen. Es gibt zahlreiche Experimente, die der Frage nachgehen, was Kinder mit verschiedenen Berufsbezeichnungen verbinden.
Wenn Kinder von „den Polizisten“ hören, denken sie – Sie ahnen es schon – vor allem an Männer. Und genauso ergeht es ihnen, wenn von „den Lehrern“ oder „den Politikern“ die Rede ist. Damit nicht genug, verfestigt das den Eindruck, dass bestimmte Berufe für Männer normal sind, für Frauen aber eben nicht. Ist das wirklich das Weltbild, das wir an die nächsten Generationen weitergeben wollen – nur, weil wir es nicht übers Herz bringen, unsere eigenen Sprachgewohnheiten kritisch zu hinterfragen?
„Fakt ist: Sprache kann inklusiv sein und Sprache kann ausschließen.“
Fakt ist: Sprache kann inklusiv sein und Sprache kann ausschließen. Fakt ist auch: Sprache verändert sich. Und das ist auch gut so, denn wenn unsere Sprache nicht mehr mit unserer Gesellschaft mitwachsen kann, haben wir ein ernstes Problem.
Das Recht auf Gleichstellung ist im Grundgesetz verankert – es ist ein verfassungsrechtlicher Auftrag, dem wir nur gerecht werden, indem wir Raum für alle Geschlechter schaffen – auch in unserer Sprache. Bereits 1988 wurden in Baden-Württemberg erste Vorschriften erlassen, die die sprachliche Gleichbehandlung von Frauen und Männern in der Verwaltungssprache enthielten. Seit 2018 bietet das Personenstandsgesetz die Möglichkeit, neben „männlich“ und „weiblich“ auch „divers“ ins Geburtenregister eintragen zu lassen.
Unsere Gesellschaft verändert sich – sie öffnet sich für eine Diversität, die kein neues Phänomen ist, nun aber endlich Raum bekommt, um sich frei zu entfalten.
„Geschlechtergerechte Sprache ist deshalb auch keineswegs Ausdruck einer Gleichmacherei, wie das die AfD so gern beschwört. Ganz im Gegenteil: Sie schafft Raum für Diversität.“
Geschlechtergerechte Sprache ist deshalb auch keineswegs Ausdruck einer Gleichmacherei, wie das die AfD so gern beschwört. Ganz im Gegenteil: Sie schafft Raum für Diversität. Geschlechtergerechte Sprache ermöglicht den respektvollen – ja den würdevollen – Umgang mit individueller Identität.
Genau deshalb geht es nicht nur darum, dem generischen Maskulinum ein Femininum zur Seite zu stellen, sondern eine Sprache zu schaffen, die auch Trans*-, Inter- und nicht-binär verortete Personen anspricht. Weil ein respektvolles Miteinander die Grundlage unserer Gesellschaft bildet.
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
den Antrag gegen den „Gender-Zwang“ hat die AfD in dieser oder ähnlicher Form schon in vielen Parlamenten gestellt.
„Und auch wenn wir Grünen Recycling grundsätzlich befürworten: Wenn es um rückwärtsgewandte Politik geht, ist Kreislaufwirtschaft der falsche Ansatz.“
Und auch wenn wir Grünen Recycling grundsätzlich befürworten: Wenn es um rückwärtsgewandte Politik geht, ist Kreislaufwirtschaft der falsche Ansatz.
Wir müssen nämlich definitiv reden – aber nicht darüber, was Reaktionäre übers Gendern denken. Lassen Sie uns stattdessen über die Probleme reden, die wir wirklich lösen müssen: Zum Beispiel über Gewalt gegen Frauen oder über frauenspezifische strukturbedingte Altersarmut – das wären Themen, in die wir Zeit und Energie investieren sollten.
Neueste Kommentare